Erklärung der europäischen Bischöfe der Russischen Auslandskirche angesichts der Situation im Osten der Ukraine

Wir, die Bischöfe der Russischen Auslandskirche in Europa verfolgen mit Trauer und größter Sorge die Ereignisse im Osten der Ukraine. Bewaffnete Konflikte führen stets zu schwerem Leid für unschuldige Menschen – vor allem Kinder und ältere Menschen – und dem geht Spaltung, Einseitigkeit und Feindseligkeit voraus. Unsere Kirche vereint in ihrem Gebet und Dienst von jeher Russen, Ukrainer, Weißrussen und Vertreter vieler anderer Völker, in deren Mitte sie dient in der ganzen Welt, unabhängig von Staatsgrenzen und politischen Systemen.
Wir sehen und wertschätzen den großen geistlichen Beitrag, den die Kiewer Rus‘, und dann auch die Ukraine, für die Orthodoxe Kirche Christi auf der ganzen Welt dargebracht hat. Das ist ein Weg, der von Heiligen gebahnt ist, und er führt vom heiligen apostelgleichen Vladimir, der die Rus‘ mit Wasser taufte, zum heiligen Vladimir (Bogoyavlensky1), der sein Blut neben der Entschlafens-Kathedrale in Kiew vergoss. Zum Beginn der gottfeindlichen Periode auf dem Gebiet der Rus‘ taufte dieser Hieromärtyrer durch sein Blut die Rus‘ erneut. In seinem Herzen vereinte er die Rus‘– war er doch nacheinander erst Metropolit von Moskau, dann von St. Petersburg und zuletzt auch von Kiew. Dieser erste ermordete Bischof in der Schar der heiligen Neumärtyrer offenbart uns durch sein Schicksal ein wunderbares göttliches Band. Und in derselben Periode, als die Gläubigen der Russischen Kirche sich über die ganze Welt zerstreuten, trug der in Novgorod geborene Metropolit Antonij von Kiew und Galič, nach seiner Wahl zum Bischof in Charkow und später Kiew, im Gehorsam den Dienst als Oberhaupt der Russischen Auslandskirche. Es ist unmöglich, der äußerst einseitigen Darstellung der Ereignisse zuzustimmen, wie sie die westlichen Informationsquellen zeichnen. Das Geschehen ist wesentlich komplexer. Wir werfen uns nicht zu Richtern auf, vielmehr wollen wir unsere Berufung als Diener der Kirche erfüllen und inständig um die Versöhnung der Menschenseelen „im ukrainischen Lande“ – „um die Besänftigung der Herzen“ beten, und zugleich, dass Weisheit geschenkt werde denen, die unmittelbare Verantwortung tragen für das Schicksal der Menschen in Europa, welches sowohl die Ukraine umfasst, als auch Russland mit Weißrussland. Dieses Zeichen haben wir durch ein besonderes Gebet für die Ukraine in der Liturgie2 gesetzt, an der Stelle des Gottesdienstes, wo einst jahrzehntelang das Gebet um die Befreiung von der gottfeindlichen Macht erklang.
Wir rufen alle auf – die mit Macht betrauten, ebenso wie die einfachen Bürger – sich zu besinnen auf die anstehende Große Fastenzeit. Mit den Worten des Evangeliums rufen wir auf: Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe! (Mt 4:17) Kehrt um, denn die Zeit ist nahe! (Apok 22:10) Enthaltsamkeit ist geboten nicht nur im Essen und Trinken, sondern, vor allem, was sündige Gedanken und Leidenschaften angeht. Eine aufrichtige Hinwendung zu Gott wird die Welt vom Brudermord retten, wird Wege öffnen für friedliche Lösungen aller entstehenden Fragen.
Im Gedenken an die Worte des Großfürsten, des heiligen Alexander von der Newa – „Gott ist nicht in der Gewalt, sondern in der Wahrhaftigkeit!“ – rufen wir alle Gläubigen auf, die Gebete „um den Frieden der ganzen Welt“, für die Leidenden, für die Umkehr und Rettung der menschlichen Seelen zu verstärken.
Der Herr möge uns allen Weisheit und Erbarmen schenken!

München – London
22. Februar 2022

+ Mark, Metropolit von Berlin und Deutschland
+ Irenei, Bischof von London und Westeuropa
+ Alexandre, Bischof von Vevey, Vikarbischof der Diözese von Westeuropa
+ Hiob, Bischof von Stuttgart

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1. Der Name verweist auf die Taufe Christi – Theophanie – d. Übers.
2. Das Gebet um den Frieden in der Ukraine wurde 2014 eingeführt und ist seitdem ständige liturgische Praxis – d. Übers.

Februar 26, 2022